Vorwort des Herausgebers
Bei unserer Tätigkeit als beratende Ingenieure werden uns mehr und mehr interessante Forschungs- und Entwicklungsaufgaben gestellt. Weiterhin zählt die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis zu unserem Aufgabenbereich. Damit unser Kundenkreis und andere Interessenten die Ergebnisse dieser Arbeiten kennenlernen, haben wir uns entschlossen, die Schriftenreihe WBI-Print, Geotechnik in Forschung und Praxis, zu begründen. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um den ersten Band dieser Reihe.
Für das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Teil der NBS/ABS Stuttgart-Ulm-Augsburg sind ca. 20 km eingleisige Tunnels im quellfähigen Gipskeuper geplant. In der Vergangenheit sind in verschiedenen Tunnels, die in diesem Gebirge aufgefahren wurden, große quellbedingte Sohlhebungen und Schäden an der Tunnelinnenschale aufgetreten.
Über die Berücksichtigung des Quellverhaltens bei der Planung und Ausführung von Tunnels im unausgelaugten Gipskeuper gibt es in der Fachwelt bis heute keine einheitliche Auffassung. Als Entwurfskonzepte werden das Ausweichprinzip und das Wider-standsprinzip angewendet. Während beim Ausweichprinzip das Ziel verfolgt wird, die Quelldrücke auf die Sohle durch Anordnung einer nachgiebigen Knautschzone erheblich zu reduzieren, wird dem Quelldruck beim Widerstandsprinzip durch konstruktive Maßnahmen begegnet. Über die maximal auftretenden Quelldrücke sowie die Quelldehnungen und deren zeitliche Entwicklung liegen zur Zeit keine gesicherten Kenntnisse vor.
Das Ziel der von Frau Dr.-Ing. Patricia Wittke-Gattermann vorgelegten Arbeit ist es, die Entwurfsgrundlagen für Bauwerke in quellfähigem Gebirge zu verbessern. Dazu werden die an vorhandenen Bauwerken gewonnenen Meßergebnisse und Beobachtungen ausgewertet, um ein Stoffgesetz sowie die dafür benötigten Kennwerte abzuleiten. Außerdem wird ein darauf aufbauendes, räumliches FE-Programm für entsprechende tunnelstatische Berechnungen entwickelt.
Aufgrund des umfangreichen In-situ-Meßprogramms und des langen Meßzeitraums, der mit Beginn des Quellens begann, eignete sich der Untersuchungsstollen des Freudensteintunnels in besonderer Weise für eine Entwicklung und Kalibrierung eines Stoffgesetzes der oben beschriebenen Art. In dem künstlich bewässerten Versuchsstollen wurden verschiedene Ausbauprinzipien bei gleichen Untergrundverhältnissen ausgeführt. Dabei sind die quellbedingten Verformungen trotz künstlicher Bewässerung innerhalb eines Zeitraums von nahezu 10 Jahren nicht zum Stillstand gekommen. Aufgrund dieser langen Dauer der Quellvorgänge muß deren Zeitabhängigkeit bei der Interpretation der Meßergebnisse berücksichtigt werden.
Wir möchten Frau Dr.-Ing. Patricia Wittke-Gattermann unseren Dank und unsere Anerkennung dafür aussprechen, daß sie die ihr gestellte Aufgabe mit großer Kreativität und großem Einsatz hervorragend gelöst hat. Es ist ihr gelungen, unser Stoffgesetz und das darauf aufbauende FE-Programmm entscheidend zu erweitern und aus den Meßergebnissen des Untersuchungsstollens des Freudensteintunnels zu kalibrieren.
Abschließend möchten wir uns bei der DB AG bedanken, die uns die Meßergebnisse des unserer Auffassung nach vorbildlichen Erkundungsbauwerks des Freudensteintunnels zur Verfügung gestellt hat. Auch den bei der Konzeption, der Ausführung und der Durchführung der Messungen beteiligten Firmen und Ingenieuren sei an dieser Stelle gedankt.
Für die finanzielle Unterstützung sind wir der DBProjekt GmbH Stuttgart 21 zu besonderem Dank verpflichtet. Mit den Ergebnissen dieser Arbeit stehen nunmehr verbesserte Grundlagen für den Entwurf von Tunnels im unausgelaugten, quellfähigen Gipskeuper zur Verfügung.
W. Wittke B. Pierau C. Erichsen