Einleitung
Die Spritzbetonbauweise wurde als “Neue Österreichische Tunnelbauweise” (NÖT) ursprünglich nur im Felstunnelbau angewendet. Seit den 70er Jahren wurde diese Bauweise jedoch in modifizierter Form zunehmend auch im Lockergestein bei geringen Überdeckungen und im innerstädtischen Bereich eingesetzt. Da bei allen diesen Projekten dem Sicherungsmittel Spritzbeton eine herausragende Bedeutung zukommt, hat sich für die NÖT in Deutschland die Bezeichnung “Spritzbetonbauweise” durchgesetzt.
Bei der Spritzbetonbauweise handelt es sich um ein Bauverfahren, das im Hinblick auf wechselnde Baugrundverhältnisse und Querschnittsformen sehr anpassungsfähig ist. Dabei ist es insbesondere die Aufgabe des Spritzbetons, im Zusammenwirken mit dem Baugrund ein tragendes Gewölbe um den Tunnel herum auszubilden. Bei entsprechender Ausbildung des Tunnelquerschnitts und Gestaltung des Bauablaufs gelingt es, Biegemomente und Querkräfte in der Spritzbetonschale zu vermeiden oder zumindest gering zu halten und dementsprechend auch große Hohlräume mit dünnen Spritzbetonschalen zu stützen. Auch Senkungen an der Geländeoberfläche lassen sich bei richtiger Planung in den meisten Fällen gering halten.
Voraussetzung für einen erfolgreichen Tunnelvortrieb nach dieser Bauweise sind allerdings statische Berechnungen, mit denen das Zusammenwirken von Baugrund und Sicherungsmitteln realitätsnah erfaßt wird. Dies ist nach Auffassung der Autoren nur mit numerischen Berechnungsverfahren möglich. Deshalb sollten die Standsicherheitsberechnungen in der Regel mit Finite-Elemente-Programmen durchgeführt werden. Ein sehr leistungsstarkes und auch für die Lösung dreidimensionaler Aufgabenstellungen geeignetes Programm stellt das von WBI entwickelte und in WBI-PRINT 4 (Wittke, 1999) ausführlich beschriebene Programmsystem FEST03 dar. Seit über 20 Jahren hat sich dieses Programmsystem, das in diesem Zeitraum mehrmals verbessert und weiterentwickelt wurde, als wertvolles Hilfsmittel für einen sicheren und wirtschaftlichen Entwurf von Tunnelbauten erwiesen.
Bei der Entwurfsbearbeitung wird schrittweise vorgegangen, wobei die folgenden Bearbeitungsschritte bei Bedarf mehrfach durchlaufen werden:
– Geotechnische Untersuchungen der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse.
– Ableitung der boden- und felsmechanischen Kennwerte auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse und von Erfahrungen.
– Statische Berechnungen zur Standsicherheit und zur Bemessung der Spritzbeton- und Innenschale.
– Entwurf und Festlegung von Ausbruch und Sicherung (Vortriebsklassen).
– Kontrolle der Standsicherheit durch vortriebsbegleitende geotechnische Kartierungen und Messungen (“Monitoring”).
– Interpretation der Meßergebnisse durch statische Berechnungen (Back Analysis).
Die Autoren dieses Bandes WBI-PRINT 5 verfügen über eine mehr als 20jährige Erfahrung in der Statik und Konstruktion von Tunnelbauten, die nach der Spritzbetonbauweise aufgefahren werden. Mit dem Buch soll versucht werden, diese Erfahrungen anhand von ausgeführten Beispielen weiterzugeben.
Im Kapitel 2 wird ein Überblick über die bei der Spritzbetonbauweise eingesetzten Sicherungsmittel gegeben. Dabei wird insbesondere auch auf neuere Entwicklungen, z. B. alkalifreier Spritzbeton, eingegangen. Weiterhin werden im Kapitel 2 geotechnische Kartierungen und Messungen behandelt, die einen festen Bestandteil der Spritzbetonbauweise bilden.
In den Kapiteln 3 und 4 werden Kalottenvortriebe mit offener und geschlossener Kalottensohle behandelt. Es werden jeweils drei ausgeführte Projekte vorgestellt.
Gegenstand des Kapitels 5 sind Ulmenstollenvortriebe, von denen ebenfalls drei Beispiele dokumentiert werden.
Zwei Projekte, bei denen der Vortrieb zumindest bereichsweise im Vollausbruch ausgeführt werden konnte, werden im Kapitel 6 vorgestellt.
Tunnel, die im Schutze eines Düsenstrahlgewölbes aufgefahren wurden, bilden die beiden letzten, im Kapitel 7 behandelten Projekte.
Die Dokumentation der ausgeführten Beispiele ist in der Regel wie folgt gegliedert:
– Beschreibung des Bauwerks,
– Beschreibung des Baugrundes und der Grundwasserverhältnisse,
– Entwurf und Vortriebsklassen,
– Standsicherheitsnachweise und statische Berechnungen zur Bemessung der Spritzbetonschale,
– Ausbruch- und Sicherungsmaßnahmen bei der Bauausführung,
– geotechnische Messungen und deren Interpretation,
– Schlußfolgerungen.